Entschuldung der Kommunen im Rahmen der HESSENKASSE

Ein Gastbeitrag von Hessens Finanzminister Michael Boddenberg für die Zeitschrift „Ländlicher Raum“.

Gleichwertige Lebensverhältnisse sind in Hessen ein verfassungsrechtlich verankertes Staatsziel. Die Kommunen spielen dabei eine ganz zentrale Rolle, denn eine Vielzahl an öffentlichen Leistungen sowie zahlreiche Investitionen in die örtliche Infrastruktur erfolgen unmittelbar über die Kommunen. Eine maßgebliche Voraussetzung dafür ist eine solide finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen, die ihnen die nötigen Handlungsspielräume für ihre Aufgabenwahrnehmung eröffnet. Eine hohe Verschuldung schränkt diese Handlungsspielräume erheblich ein. Mit der HESSENKASSE hat das Land Hessen 2018 ein bundesweit einmaliges Programm zur Entschuldung der hessischen Kommunen von Kassenkrediten und zur Förderung kommunaler Investitionen umgesetzt. Auf diese Weise ist es gelungen, viele hoch verschuldete Kommunen aus der Verschuldungsfalle herauszuholen und ihnen eine neue Perspektive für die Zukunft zu geben.

Ausgangslage und Umsetzung der HESSENKASSE

Die Verschuldung der Kommunen mit Kassenkrediten war in den vergangenen 25 Jahren in vielen Bundesländern geradezu explosionsartig angestiegen. In Hessen hatte sie im Jahr 2012 mit insgesamt rund 7,5 Mrd. Euro ihren Höchststand erreicht. Zwar war es in Hessen im Zuge des 2012 ins Leben gerufenen Kommunalen Schutzschirms gelungen, die kommunale Verschuldung bereits deutlich zu senken. Dennoch führte Hessen gut vier Jahre später zusammen mit dem Saarland, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen die Rangfolge der Länder mit den am höchsten verschuldeten Kommunen an. Der Kassenkreditbestand lag Ende 2017 in Hessen noch bei insgesamt rund 5,5 Mrd. Euro. Obwohl die Zinsbelastung für die kommunalen Haushalte aufgrund der zu diesem Zeitpunkt bereits niedrigen Zinsen eher gering war, stellten mögliche Zinsänderungen gleichwohl erhebliche Risiken für die zukünftigen Kommunalhaushalte dar.

Das Land Hessen hat daher in Eigeninitiative beschlossen, das Altschuldenproblem vollumfänglich und nachhaltig anzugehen. Ziel war es nicht nur, durch eine konsequente Schuldentilgung das Zinsänderungsrisiko und die damit einhergehende drohende Mehrbelastung für die Kommunen zu reduzieren. Im gleichen Zuge sollte auch ein erneuter Anstieg der Kassenkreditverschuldung verhindert werden.

Im Zuge der Umsetzung dieses Programms wurden über 250 Einzelgespräche mit Kommunen geführt, um die spezifischen Gegebenheiten zu erörtern und diese Erkenntnisse bei der Ermittlung der individuellen Ablösungsbeträge angemessen berücksichtigen zu können. Im Ergebnis wurden bis Dezember 2018 schließlich insgesamt rd. 4,9 Mrd. Euro kommunale Kassenkredite von 179 Kommunen abgelöst. Der Kassenkreditbestand der hessischen Kommunen lag Ende 2019 nur noch bei 240 Mio. Euro; ein Rückgang um 95 Prozent.

Was sind die wesentlichen Erfolgsfaktoren der HESSENKASSE?

Der Erfolg der HESSENKASSE lässt sich an mehreren Faktoren festmachen. Zunächst waren die gesamtwirtschaftlichen Voraussetzungen denkbar günstig. Dank der anhaltenden positiven konjunkturellen Entwicklung befand sich die Wirtschaft seit Jahren auf einem Wachstumspfad. Sowohl das Land als auch die Kommunen insgesamt konnten seit 2016 Finanzierungsüberschüsse erzielen. Gleichzeitig hatte das Zinsniveau einen historischen Tiefstand erreicht.

Darüber hinaus war die grundlegende Entscheidung für eine einmalige und vollständige Ablösung der Kassenkredite eine richtungsweisende Grundsatzentscheidung. Reine Zinsdiensthilfen wären der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein gewesen und hätten die Kommunen mit der Tilgung der bestehenden Kredite weiterhin allein gelassen. Ein signifikanter Abbau der Verschuldung wäre so möglicherweise in weite Ferne gerückt. Durch Anpassung der finanzaufsichtlichen Rahmenbedingungen wurde zudem das Risiko einer Kassenkreditneuverschuldung reduziert.

Auch die Beteiligung der Kommunen an der Rückführung der eigenen Kassenkredite in Höhe eines Eigenbeitrags von 25 Euro je Einwohner pro Jahr war ein wichtiges Signal, um mögliche Fehlanreize zur Neuverschuldung zu vermeiden. Gleichzeitig hat neben der unbürokratischen Umsetzung vor allem das zusätzlich zur Kassenkreditentschuldung aufgelegte Investitionsprogramm mit einem Volumen von rd. 700 Mio. Euro zu einer flächendeckenden Akzeptanz der HESSENKASSE in der Kommunalen Familie beigetragen, da somit auch Kommunen ohne Kassenkreditverschuldung nicht „leer“ ausgegangen sind.

Neue Herausforderungen durch die Corona-Krise

Die Corona-Krise konfrontiert nun fast eineinhalb Jahre später die Kommunen mit noch nie dagewesenen Herausforderungen. Trotz vielerorts einbrechender Gewerbesteuereinnahmen müssen sie in der Lage sein, die Daseinsvorsorge für ihre Bürgerinnen und Bürger aufrechtzuerhalten. Die Hessische Landesregierung hat unverzüglich auf die Corona-Krise reagiert, um die negativen finanzwirtschaftlichen Auswirkungen durch gezielte Maßnahmen einzudämmen. Zur Sicherstellung der Liquidität der Kommunen und zur Förderung der Investitionstätigkeit wurden beispielsweise die Auszahlung mehrerer Monatsraten an Schlüsselzuweisungen vorgezogen und Landesmittel für Investitionsprogramme vorzeitig pauschal ausgezahlt. Zudem hat das Land ein Sondervermögen geschaffen, von dem auch die Kommunen im Umfang von 2,5 Mrd. Euro profitieren. In diesem Zusammenhang sind zahlreiche Maßnahmen vorgesehen, um die Kommunalhaushalte zielgerecht und wirkungsvoll zu unterstützen und eine Neuverschuldung der Kommunen zu begrenzen.

Anfang Mai ist auch der Bund tätig geworden. Gut ein dreiviertel Jahr nach der Veröffentlichung der Ergebnisse der „Kommission Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hat der Bundesfinanzminister im Mai mit dem „Kommunalen Solidarpakt 2020“ ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das Steuerausfälle in Folge der Corona-Krise und kommunale Altschulden auffangen sollte. Dass sich dieser Plan letztlich so nicht durchgesetzt hat und im Konjunkturpaket des Bundes nun lediglich die Kompensation von Gewerbesteuermindereinnahmen im Jahr 2020 übriggeblieben ist, stellt dank der HESSENKASSE für das Land Hessen keinen Verlust dar; das Land Hessen war den Plänen des Bundesfinanzministers weit voraus.

Insgesamt ist das Konjunkturpaket des Bundes für die Kommunen eine echte Unterstützung. Neben der Beteiligung an der Kompensation der Gewerbesteuermindereinnahmen ist vor allem das verstärkte Engagement im Bereich der Sozialausgaben zu begrüßen. Hohe Sozialausgaben, die für die Kommunen kaum beeinflussbar sind, zählen zu den wesentlichen Ursachen für einen mitunter hohen Instandhaltungsrückstau, Investitionsverzicht oder hohe Kassenkredite. Dass der Bund sich nun bereit erklärt, die Kommunen in diesem Bereich verstärkt zu unterstützen, ist folgerichtig und entlastet die betroffenen Kommunen zielgenau und nachhaltig.

Fazit

Gleichwertige Lebensverhältnisse umzusetzen ist und bleibt eine der großen Herausforderungen der Politik. Solide Kommunalfinanzen sind dabei ein wichtiger Baustein. Mit zahlreichen Maßnahmen wurde in den vergangenen Jahren kontinuierlich daran gearbeitet, die Kommunalfinanzen solide und zukunftsfest aufzustellen. Die HESSENKASSE hat dabei einen bedeutenden Beitrag geleitet.

Allerdings gilt es besonders in Zeiten wie diesen, an den Grundpfeilern einer nachhaltigen Finanzpolitik festzuhalten. Das Land unterstützt die Kommunen dabei kraftvoll und wird auch weiterhin zusammen mit den Kommunen daran arbeiten, den Bürgerinnen und Bürgern in allen Landesteilen gleichwertige Lebensverhältnisse und damit ein attraktives und lebenswertes Umfeld zu bieten.

Quelle: Entschuldung der Kommunen im Rahmen der HESSENKASSE, in: Ländlicher Raum, Ausgabe 3.2020, S. 72-74.

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