Im Sinne von Transparenz und Vergleichbarkeit der öffentlichen Rechnungslegung ist eine Standardisierung nicht nur auf europäischer Ebene, sondern auch und gerade auf nationaler Ebene für Bund, Länder und Kommunen erforderlich. Im Rahmen der aktuellen Diskussion zur Entwicklung von EPSAS (European Public Sector Accounting Standards) hat das Land Hessen im Rahmen eines Praxistests untersucht, ob eine zweckadäquate Rechnungslegung der öffentlichen Hand auch nach IPSAS (International Public Sector Accounting Standards) möglich ist. Das Land hat testweise für das Jahr 2019 einen IPSAS-Abschlusses aufgestellt und festgestellt, dass sich Objektivierung und Vorsichtsprinzip – bei entsprechender Wahlrechtsausübung – entgegen ersten Vermutungen grundsätzlich auch auf Basis von IPSAS umsetzen lassen, wenngleich das nationale Bilanzrecht in den vergangenen Jahren eine Internationalisierung erfahren hat und insoweit mit der EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU eine Standardisierung auf gemeinschaftsrechtlichen Grundlage bereits erfolgt ist.
Die Staatsfinanzkrise hat die Notwendigkeit eines reformierten und harmonisierten öffentlichen Haushalts- und Rechnungswesens in Europa offengelegt. Zur Verbesserung der haushaltspolitischen Überwachung und wirtschaftspolitischen Steuerung der Eurozone wird daher seitens der EU-Kommission die Einführung eines harmonisierten Rechnungslegungsstandards in den EU-Mitgliedsstaaten (EPSAS) angestrebt. Die aktuelle Diskussion auf europäischer Ebene befasst sich mit der Frage, ob die EPSAS auf Grundlage der internationalen Rechnungsführungsgrundsätze für den öffentlichen Sektor (International Public Sector Accounting Standards (IPSAS)) entwickelt werden können.
Die kritische Diskussion, die sich in Deutschland an den Themen „Budgetrecht des Parlaments“, „Wahlfreiheit“, „bewährtes Vorsichtsprinzip“ und „erforderliche Objektivierung der Rechnungslegung“ festgemacht hat, hat zuletzt im Mai 2020 bei den Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder zur Sorge geführt, dass „mit einer Bilanzierung nach IPSAS internationale Standards zugrunde gelegt werden, die aufgrund ihres kapitalmarktorientierten Ursprungs für den öffentlichen Sektor vielfach nicht geeignet sind und eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage begünstigen könnten („Schönfärberei“).“
IPSAS-Projekt: Unser Beitrag zur EPSAS-Diskussion
Mit einem einmaligen und testweisen IPSAS-Abschluss für das Jahr 2019 hat das Land nunmehr untersucht, welche praktischen Unterschiede sich für eine staatliche Gebietskörperschaft gegenüber einem nach § 322 HGB uneingeschränkt testierten Konzernabschluss nach nationalem Bilanzrecht ergeben. Im Fokus des Projekts, das als sachlicher Beitrag für die weitere Diskussion im Zusammenhang mit der Entwicklung von EPSAS als neuem harmonisierten Rechnungslegungsstandard konzipiert ist, stand ausschließlich die vorrangig zu untersuchende Frage, ob eine zweckadäquate Rechnungslegung der öffentlichen Hand auch auf Grundlage der IPSAS möglich ist. Nach Auffassung des Landes Hessen hatte insbesondere dieser Aspekt in der in Deutschland durchaus leidenschaftlich geführten Diskussion bislang nicht die erforderliche, praxisgestützte Beachtung gefunden.
Zweckadäquate Rechnungslegung bei Wahlrechtsausübung möglich
Der nunmehr vorliegende IPSAS-Abschluss 2019 des Landes Hessen, der zusammen mit einem umfassenden Ergebnisbericht auf der Internetseite des Hessischen Finanzministeriums zum Download zur Verfügung steht, hat bereits im Rahmen der Vorstellung am 25. März 2021 u.a. mit Vertretern der Wissenschaft zu interessanten gemeinsamen Erkenntnissen geführt sowie im Rahmen der nationalen Veranstaltung am 27. April 2021 und der Präsentation in der Sitzung der EPSAS Working Group am 28. April 2021 vor internationalem Publikum hohe Aufmerksamkeit erfahren.
Als wesentliche Projekterkenntnis bleibt aus Sicht des Landes Hessen nunmehr zu konstatieren, dass sich Objektivierung und Vorsichtsprinzip (mit Realisations- und Imparitätsprinzip) – bei entsprechender Wahlrechtsausübung – entgegen ersten Vermutungen auch auf Basis von IPSAS umsetzen lassen und bei entsprechenden Vorgaben eine zu positive und damit unrealistische Darstellung der Haushaltslage unterbunden werden kann.
Aus unserer Sicht bemerkenswert war auch der überschaubare Umstellungsaufwand für das Land Hessen. Dies hängt damit zusammen, dass das Land als Ausgangspunkt auf einem testierten Konzernabschluss aufsetzt, der aktuellen handelsrechtlichen Vorgaben der §§ 238 ff., 264 ff. HGB folgt, die in den vergangenen Jahren durch verschiedene gesetzgeberische Maßnahmen bereits eine Ausrichtung an internationalen Rechnungslegungsstandards erfahren haben. Neben dem Bilanzrichtliniengesetz (BiRiLiG) v. 19.12.1985 sind in diesem Kontext auch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) v. 26.5.2009 sowie das Bilanzrichtlinenumsetzungsgesetz (BilRuG) v. 17.7.2015 anzuführen.
Bilanzrichtlinie 2013/34/EU als gemeinschaftsrechtliche Grundlage bereits vorhanden
Da der Gesetzgeber zuletzt mit dem BilRUG v. 17.7.2015 die neue EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 in nationales Recht umgesetzt hat, die sich mit ihren Vorgaben zur Harmonisierung der Rechnungslegung für den Einzel- und Konzernabschluss in den Mitgliedstaaten insbes. an Kapitalgesellschaften wendet, stützt sich das nationale Bilanzrecht insoweit auf eine bereits vorhandene und an die IFRS angenäherte gemeinschaftsrechtliche Grundlage. Insbesondere die Frage der zu berücksichtigenden Bewertungsmaßstäbe, im vorliegenden Kontext mithin das Spannungsverhältnis von Anschaffungskostenprinzip und Ansatz von Zeitwerten zeigt hierbei korrespondierende (Mitgliedstaaten-)Wahlrechte nach EU-Bilanzrichtlinie einerseits und IPSAS andererseits auf. Der Vorgabe, die neue EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU vom 26.6.2013 bis zum 20.7.2015 in den Mitgliedsstaaten der EU in nationales Recht umzusetzen; sind sämtliche, aktuell 27 Mitgliedstaaten der EU gefolgt.
In Deutschland auch auf staatlicher Ebene verbindlich
Der nationale Gesetzgeber hat die staatliche Doppik mit den Bestimmungen der §§ 7a, 49a HGrG in enger Anlehnung an die aktuellen handelsrechtlichen Bilanzierungsvorgaben des HGB gestaltet. Das Handelsbilanzrecht, das auf Grundlage der EU-Bilanzrichtlinie 2013/34/EU im privaten Sektor bereits der Harmonisierung der Rechnungslegung in den Mitgliedstaaten der EU dient, ist insoweit auf staatlicher Ebene bereits auf den öffentlichen Sektor übertragen worden.
Die überschaubaren Anpassungen des Landes Hessen bei den Umstellungsarbeiten im Rahmen des Projekts IPSAS-Abschluss 2019 zeigen die sich im Praxistest offenbarenden Gemeinsamkeiten eines auch von der öffentlichen Hand zu beachtenden HGB einerseits und internationalen Rechnungslegungsstandards andererseits.
Harmonisierung in Deutschland nunmehr zwingend erforderlich
Die doppische Rechnungslegung für Bund, Länder und Kommunen in Deutschland ist in einem ersten Schritt auf Basis des aktuellen HGB, das bereits auf gemeinschaftsrechtlicher, internationalisierter Grundlage (Bilanzrichtlinie 2013/34 EU) basiert, zu harmonisieren.
Ein gemeinsamer doppischer Standard für die Rechnungslegung von Bund, Ländern und Kommunen – der die Frage der Haushaltsbewirtschaftung unberührt lässt – sollte bereits kurzfristig und unabhängig von Überlegungen einer Harmonisierung auf europäischer Ebene festgelegt werden. Mit diesem Schritt, den der Gesetzgeber auf staatlicher Ebene mit den Grundsätzen staatlicher Doppik i.S.d. §§ 7a, 49a HGrG (Standards staatlicher Doppik) bereits gegangen ist, wird ein Internationalisierungsgrad erreicht, der eine beachtliche Nähe zu den im Übrigen auch aktuell diskutierten IPSAS erreicht.
Abschließend wird im Detail zu prüfen sein, inwiefern eine Weiterentwicklung des vorhandenen europäischen Bilanzrechts, das für den privaten Sektor mit der RL 2013/34/EU bereits auf einer gemeinschaftsrechtlichen Grundlage aufsetzt, auch in den übrigen Mitgliedstaaten für den öffentlichen Sektor Anwendung finden kann und eine darüberhinausgehende Anpassung in Richtung IFRS/IPSAS auf dem Weg zu EPSAS überhaupt erforderlich ist.
Maßgebliches Ziel der Harmonisierung der öffentlichen Rechnungslegung muss ein vergleichbarer und aussagekräftiger Ausweis des Vermögens und der Schulden eines Landes auf Grundlage eines standardisierten doppischen Rechnungswesens sein. Diese Transparenz ist die Politik den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland und Europa schuldig.
Quelle: Hessen mit erkenntnisreichem Praxistest, in: Behörden Spiegel vom 10. Juni 2021, S. 7f.
© Alle Rechte vorbehalten. ProPress Verlagsgesellschaft mbH, Bonn.