Herr Boddenberg, nach dem unerwarteten Tod von Dr. Thomas Schäfer und mitten in der Corona-Krise haben Sie Ihr neues Amt als Finanzminister angetreten. Wie haben Sie die ersten Wochen erlebt?
Für mich persönlich waren diese ersten Wochen natürlich vor allem aufgrund der besonderen Umstände unglaublich intensiv. Der Tod von Thomas Schäfer hat auch mich tief getroffen. Und natürlich war die große Anteilnahme in den ersten Tagen in meiner neuen Aufgabe auf Schritt und Tritt bemerkbar. Auch das hat mich emotional sehr berührt, in mir großen Respekt für das anerkennende Miteinander in unserem Geschäftsbereich wachsen lassen.
Ich habe von Thomas Schäfer einen sehr gut aufgestellten Geschäftsbereich übernommen, dessen Leistungsfähigkeit und erfolgreiche Arbeit im gesamten Land anerkannt und geschätzt werden. Gerade in der Steuerverwaltung sind in den vergangenen Jahren die Weichen erfolgreich Richtung Zukunft gestellt worden. Nun habe ich die Aufgabe, diese erfolgreiche Arbeit in den nächsten Jahren fortzusetzen. Ich bin mir sicher, dass ich das gemeinsam mit den engagierten Kolleginnen und Kollegen im Geschäftsbereich gut bewältigen werde.
Natürlich ist die Corona-Pandemie derzeit das alles bestimmende Thema. Sie fordert uns in einem Umfang, den wir bisher nicht für vorstellbar gehalten haben. Konkret zu sehen, welche Verantwortung gerade unser Ressort in der aktuellen Lage hat, beeindruckt mich. Das Land gut durch die Krise zu führen und finanzielle Schieflagen insbesondere der hessischen Unternehmen so weit wie möglich zu kompensieren, ist das gemeinsame Ziel.
Sie bringen neben Ihrer vielfältigen wirtschaftlichen und politischen Erfahrung auch geprüfte handwerkliche Fähigkeiten mit. Hilft Ihnen das, insbesondere die prekäre Lage der hessischen Wirtschaft in Zeiten von Corona besser einordnen zu können?
Auf jeden Fall! Wenn man, wie ich, einen Handwerksberuf von der Pike auf gelernt und Höhen und Tiefen miterlebt hat, kann man sich gut in die Menschen hineinversetzen, die beispielsweise plötzlich zu Kurzarbeit gezwungen sind oder gar nicht mehr arbeiten können. Gerade gewachsene wirtschaftliche Strukturen, wie etwa Familienbetriebe, die seit Generationen Hessinnen und Hessen in Lohn und Brot stellen, sind durch die Krise massiv in ihrer Existenz bedroht.
Unser Geschäftsbereich steht mit fast allen Teilbereichen in zentraler Verantwortung für diese Menschen und Unternehmen. Finanzielle Hilfen, aber auch steuerliche Sofortmaßnahmen, die von unserer Steuerverwaltung administriert werden, helfen direkt dort, wo sie gebraucht werden. Hessen hat angeboten, dass bereits gezahlte Steuervorauszahlungen erstattet oder herabgesetzt werden können. Außerdem besteht die Möglichkeit, Steuernachzahlungen stunden zu lassen. Beeindruckend ist, wie umfassend und schnell die Steuerverwaltung hierauf reagiert hat: So sind über 90.000 Anträge in den vergangenen Wochen in unseren Finanzämtern eingegangen und zusätzlich bearbeitet worden. Im Ergebnis hat das bislang schon zu über 1,6 Milliarden Euro geführt, die als dringend benötigte Finanzspritze und Liquiditätshilfe den Betroffenen das Durchstehen der Krise etwas einfacher machen.
Unbestritten ist, dass wir als Finanzverwaltung eine sogenannte kritische Infrastruktur darstellen. Wir sind einer der Eckpfeiler in der Bewältigung der Corona-Krise. Ohne unsere Arbeit wird das Abfedern der enormen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Menschen in unserem Land nicht zu stemmen sein! Dass wir handlungsfähig bleiben und die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen in Hessen bestmöglich unterstützen können, darin liegt die zentrale Herausforderung auch in den kommenden Wochen und Monaten.
Die Beschäftigten der Landesverwaltung leisten in diesen Tagen einmal mehr eine bemerkenswert gute Arbeit. Dies gilt auch und gerade für die Kolleginnen und Kollegen in den Finanzämtern. Die Arbeitsbelastung hat dort in vielen Bereichen durch die Corona-Krise nochmals spürbar zugenommen. Für ihren großen Einsatz möchte ich mich auf diesem Weg sehr herzlich bedanken.
Sie haben nicht die klassische Finanzlaufbahn eingeschlagen, waren aber lange Zeit unternehmerisch tätig. Welche Berührungspunkte hatten Sie mit der Hessischen Steuerverwaltung in der Vergangenheit und wie haben Sie diese erlebt?
Meine Steuererklärung wurde immer in einem zeitlich vertretbaren Rahmen veranlagt. (Lacht) Die letzte Steuerprüfung habe ich noch in guter Erinnerung. Es war eine sehr genaue und gleichzeitig faire Prüfung.
In meiner Zeit als Hessischer Minister für Bundesangelegenheiten konnte ich immer wieder erleben, welche wichtige Rolle Hessen in der Steuergesetzgebung auch auf Bundesebene spielt. Auf viele Entwicklungen im Steuerrecht konnte mit einem hessischen Gesetzentwurf schnell und adäquat reagiert werden. Diese Gesetzesinitiativen haben sich immer wieder positiv auf die Arbeit der Steuerverwaltung und das Land Hessen ausgewirkt.
Das Steuerrecht ist der ständigen Veränderung ausgesetzt. Was sind für Sie die großen Herausforderungen der nächsten Jahre in der Hessischen Steuerverwaltung?
Mir ist wichtig, dass wir eine zuverlässige und zupackende Steuerverwaltung sind. Unsere – zugegebenermaßen nicht immer einfachen – Steuergesetze müssen für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar umgesetzt werden. Hierauf muss sich der Einzelne einstellen können. Diese Verlässlichkeit ist auch für die Wirtschaft sehr wichtig. Gleichzeitig ist es mir wichtig, dass wir als Steuerverwaltung mit allem Nachdruck für Steuergerechtigkeit einstehen. Gerade in Zeiten der Krise kommt es darauf an, ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, die unter anderem durch Steuereinnahmen generiert werden. Auch hier zeigt sich wieder die zentrale Verantwortung der Steuerverwaltung für unser Gemeinwohl.
Thomas Schäfer hat in den vergangenen Jahren wichtige Strukturmaßnahmen eingeleitet, die es bis zum Jahr 2025 konsequent umzusetzen gilt. Die SMART-Maßnahmen sind dabei richtungsweisend: Die Steuerverwaltung gewinnt durch Regionalisierungen und Aufgaben-Zentralisierungen weiter an Schlagkraft und Effizienz, mehr Fachlichkeit und schlussendlich auch noch mehr Steuergerechtigkeit.
Daneben werden wir uns auch weiterhin mit der Frage beschäftigen müssen, wie wir ein attraktiver Arbeitgeber bleiben. Attraktiv für den Nachwuchs, den wir weiterhin in großem Umfang gewinnen müssen. Attraktiv aber auch für die Kolleginnen und Kollegen, die bereits in der Steuerverwaltung arbeiten. Auch hier ist in den vergangenen Jahren viel auf den Weg gebracht worden. Deshalb schaue ich mit Zuversicht auf die Zeit, die vor uns liegt.
Die Kolleginnen und Kollegen interessiert natürlich auch der Mensch Michael Boddenberg. Wer ist denn „der Neue“? Dürfen wir Ihnen dazu noch ein paar kurze Fragen stellen?Wenn Sie die Wahl hätten…
…Physik oder Deutsch?
Zu meiner Schulzeit eindeutig Deutsch. Mich haben klassische aber auch zeitgenössische Literatur und der damit einhergehende Diskurs mit Lehrern und Mitschülern gleichermaßen interessiert. Heute neige ich eher zur Physik und zu den Naturwissenschaften. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich in den vergangenen Jahren häufig die Gelegenheit hatte, aktuelle Forschungsarbeiten und -institute aus nächster Nähe zu betrachten. Der Transfer zwischen den Ergebnissen der Grundlagenforschung und deren Anwendung in vielen Teilen der Gesellschaft und Wirtschaft ist absolut faszinierend. Dieser praktische Bezug hat in der damaligen Schulzeit häufig gefehlt.
…Fußballstadion oder Golfplatz?
Ganz klar das Fußballstadion. Wie der Fußball verschiedenste Menschen zusammenbringt, finde ich einfach klasse. Ganz besonders schlägt mein Herz für die Eintracht. Wenn man so lange wie ich in Frankfurt lebt, passiert das zugegebenermaßen fast von allein.
…Wurst oder Käse?
Wurst – wobei ich als gelernter Fleischer natürlich alle gut hergestellten Fleischprodukte sehr gerne mag. Fleischerei ist Handwerk, und jeder Betrieb hat seine ganz besonderen Spezialitäten, die ich immer wieder gern probiere. Von klein auf habe ich aber eine besondere Vorliebe für Leberwurst. Meine Mutter hat mir früher mal gesagt, sie sei der Meinung, dass ich „zu 70 Prozent aus Leberwurst bestehe“, weil ich in meinen jungen Jahren so viel davon gegessen habe. (Lacht)
…Helene Fischer oder Jimi Hendrix?
Jimi Hendrix! Wie er mit der Gitarre umgeht, ist einfach einzigartig. Jedes Mal, wenn ich einen Song von ihm höre, bin ich aufs Neue gefesselt – zumal ich selbst Gitarre spiele. Als junger Mann war ich in einer Kölner Rockband aktiv und seit einiger Zeit lasse ich meine Leidenschaft wiederaufleben und trete ab und zu für den guten Zweck mit der Band „Grooving Doctors Challenge“ aus dem Rhein-Main-Gebiet auf.
Zum 60. Geburtstag habe ich von meiner Frau eine tolle, neue Gitarre geschenkt bekommen, über die ich mich sehr gefreut habe.
…Sportwagen oder Familienkutsche?
Ganz sicher nicht Sportwagen. Dazu fehlt mir zum einen die Technik-Begeisterung. Zum anderen brauchen meine Frau und ich aus mehreren Gründen ein Fahrzeug mit etwas mehr Platz.
…Berge oder Meer?
Wenn ich an unsere bisherigen Urlaube zurückdenke, dann waren es die Urlaube am Meer, die meine Frau und mich emotional bewegt haben. Schon als Kind hatte ich häufig Fernweh. Das erklärt vielleicht, weshalb mir der Blick auf’s Meer und in Richtung Horizont eher zusagt, als der Blick auf die Alpen.
Herr Minister Boddenberg, wir bedanken uns recht herzlich, dass Sie sich trotz Ihres eng getakteten Terminkalenders so offen und ausführlich unseren Fragen gestellt haben und wünschen Ihnen viel Erfolg für das neue Amt.
Das Interview führten Patricia Heidemann und Dr. Lucas Cornelius im Mai 2020.