Der Krise gewachsen

Hessens Finanzminister Michael Boddenberg und der Direktor der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) Joachim Kaiser im Interview mit der INFORM - Magazin für die hessische Landesverwaltung.

Die Corona-Pandemie wirft viele schwierige Fragen auf. Wie geht man mit einer Situation um, die noch nie dagewesen ist? Wo liegen die Prioritäten? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um die Funktionsfähigkeit kritischer Infrastrukturen aufrechtzuerhalten? 
INFORM hatte die Gelegenheit, mit dem neuen Hessischen Finanzminister Michael Boddenberg und HZD-Direktor Joachim Kaiser darüber zu sprechen.

INFORM: Herr Boddenberg, am 3. April 2020 hat Ministerpräsident Volker Bouffier Sie zum neuen Hessischen Finanzminister vereidigt. Mitten in der Corona-Krise haben Sie Ihr neues Amt angetreten. Wie haben Sie die ersten Tage im Ministerium erlebt?

Boddenberg: Für mich persönlich waren diese ersten Tage aufgrund der besonderen Umstände sehr emotional, aber natürlich auch sehr arbeitsintensiv. Von den Kolleginnen und Kollegen in der Finanzverwaltung bin ich herzlich empfangen worden. Ich habe einen Geschäftsbereich vorgefunden, der wirklich sehr gut funktioniert.

Natürlich ist die Corona-Krise in diesen Tagen das alles bestimmende Thema. Für das gemeinsame Ziel, gut durch die Krise zu kommen, müssen wichtige Entscheidungen rasch und zugleich sehr überlegt getroffen werden, insbesondere jene mit großer finanzieller Tragweite. Auch in der IT standen wir seit Mitte März vor großen Herausforderungen. Die Menschen vertrauen darauf, dass wir unseren Job machen. Das tun wir mit aller Kraft!

INFORM: Automobilkonzerne haben die Produktionsbänder stillgelegt, am Flughafen in Frankfurt bleiben die allermeisten Flugzeuge am Boden. Kleinunternehmer wie Friseure oder Blumenhändler mussten ihre Geschäfte von jetzt auf gleich für Wochen schließen. Der Shutdown. Unternehmerinnen und Unternehmer hat die Krise bis ins Mark getroffen. Wie hilft die Politik in Hessen?

Boddenberg: Durch diese Krise kommen wir nur gemeinsam. Hessen hat deshalb einen Schutzschirm aufgespannt. Er umfasst Hilfen von bis zu 8,5 Milliarden Euro für unser Land. Wir haben damit auch steuerliche Erleichterungen auf den Weg gebracht und stocken die finanziellen Soforthilfen des Bundes auf. Die Unternehmen in unserem Land können zudem beispielsweise zwischen Förderkrediten der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen oder Landesbürgschaften als eine weitere Form der Unterstützung wählen. Aber unsere verschiedenen Maßnahmen richten sich natürlich nicht nur an die klassische Wirtschaft. Auch das Ehrenamt, Kultureinrichtungen, der medizinische Gesundheitsbereich – um nur einige zu nennen – profitieren von den Mitteln, die wir als Regierung zur Verfügung stellen. Und natürlich sind wir auch mit den Kommunen im Gespräch, wie wir als Land helfen können. Wir haben beispielsweise Geld aus dem Kommunalen Finanzausgleich den Kommunen bereits Monate im Voraus überwiesen. Klar ist: Wir beobachten die sich verändernde Lage sehr genau und versuchen, in einem engen Austausch mit den Betroffenen, schnell und möglichst unbürokratisch zu helfen.

INFORM: Oberste Prämisse der vorläufigen Pandemie-Dienstanweisungen im Geschäftsbereich des Finanzministeriums waren die Gesundheit der Beschäftigten, aber auch die Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit. Können Sie an wenigen konkreten Beispielen veranschaulichen, warum ein Ressort wie das Finanzressort auch während einer Pandemie handlungsfähig bleiben muss?

Boddenberg: Die Landesregierung trägt Verantwortung für die Menschen, die in Hessen leben. Um dem auch in Krisenzeiten gerecht werden zu können, ist die Handlungsfähigkeit des Staates Grundvoraussetzung. Dies betrifft also nicht nur die Finanzverwaltung, sondern ausnahmslos alle Geschäftsbereiche der Regierung. Um auf Ihre Frage näher einzugehen, lenke ich den Blick aber gerne auf die Finanzverwaltung: Unser Geschäftsbereich steht mit fast allen Bereichen in zentraler Verantwortung. Haushaltspolitik, Steuerpolitik, die Arbeit der Finanzämter, die Beteiligung an wichtigen Unternehmen des Landes, kommunale Investitions- und Entschuldungsprogramme und staatlicher Hochbau – das sind einige der zentralen Aufgaben, um die wir uns im Finanzministerium und in unseren nachgeordenten Behörden kümmern. Und alle diese Handlungsfelder sind aktuell von der Corona-Krise in irgendeiner Form tangiert. Hierfür müssen wir Lösungen finden und dafür müssen wir auch in Krisenzeiten handlungsfähig sein und das sind wir dank unserer Pandemiepläne.

Unbestritten ist, dass wir als Finanzverwaltung eine kritische Infrastruktur darstellen. Wir sind einer der Eckpfeiler in der Bekämpfung der Folgen der Krise und wichtiger Ansprechpartner für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Unternehmen und damit die gesamte Wirtschaft. Ohne unsere Arbeit wird das Abfedern der enormen wirtschaftlichen Auswirkungen für die Menschen in unserem Land nicht zu stemmen sein!

Mindestens ebenso entscheidend ist für uns aber auch, dass wir selbstverständlich eine soziale Verantwortung gegenüber unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben. Um die sozialen Kontakte so gering wie möglich zu halten, wechseln sich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem rotierenden Verfahren mit ihrem Einsatz in der Dienststelle und im Homeoffice ab. Wir müssen also auch unsere IT-Infrastruktur an die neuen Rahmenbedingungen anpassen.

INFORM: Herr Kaiser, war die hessische Landesverwaltung bislang durchweg handlungsfähig – aus IT-technischer Sicht gesehen?

Kaiser: Ich denke, die Landesverwaltung hat ganz hervorragend ihre Handlungsfähigkeit demonstriert. In der jetzigen Pandemie-Krise mussten nicht nur die bisherigen Leistungen der Verwaltung für die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen so weit wie möglich aufrechterhalten werden. Wir alle sind in besonderem Maße neu gefordert worden. Ich möchte hier nur zwei von vielen Beispielen nennen: die landesweite Corona-Hotline, die binnen kurzer Zeit eingerichtet wurde, und die wirtschaftlichen Soforthilfen für Selbstständige, Freiberufler und kleine Unternehmen. Und natürlich mussten alle Anforderungen auch unter der Bedingung eines gleichzeitigen Schwenks eines großen Teils der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Homeoffice realisiert werden.

Die HZD hat sehr viel zu dieser positiven Bilanz aus IT-Sicht beitragen können. Es hat sich bezahlt gemacht, dass wir seit mehreren Jahren Mobilität als ein strategisches Ziel verfolgen. Unsere Services und Verfahren, die wir für die Verwaltung betreiben, haben wir völlig ungeschmälert aufrechterhalten – und das weitgehend und ohne Probleme im Remotezugriff, denn auch unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ins Homeoffice gegangen.

Mit Beginn des Lockdown gab es natürlich in der gesamten Landesverwaltung einen enorm gesteigerten Bedarf an mobiler IT. Hier hat sich eindeutig bestätigt, wie richtig die Entscheidung war, den HessenPC als zentrales Clientmanagement im Land zu etablieren und auf standardisierte Produkte zu setzen. Wir hatten kein Problem, die Möglichkeiten für Fernzugriffe mit HessenAccess in sehr kurzer Zeit um mehrere zehntausend Nutzer deutlich auszuweiten. Und wir konnten auch unsere Skype for Business-Lösung HessenConnect ohne Probleme wesentlich mehr Mitarbeitenden im Land zur Verfügung stellen. Unsere Infrastrukturen, auf denen diese Produkte aufsetzen, haben sich als skalierbar und sehr robust behauptet. Als etwas schwieriger hat sich die Versorgung mit mobilen Endgeräten - Notebooks und Tablets - erwiesen. Das liegt an den aktuell langen Lieferzeiten der Lieferanten. Wir haben momentan eine Ausstattungsquote mit mobilen Endgeräten von rund 40% der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung. Bis Herbst wird diese Quote voraussichtlich bei 70% liegen.

INFORM: Welche Bedeutung hat die IT in der Krise?

Kaiser: Die IT des Landes hat sich in der Krise ganz elementar und offenkundig als unverzichtbarer Garant für das Funktionieren der Verwaltung erwiesen wie noch nie zuvor. Und auch wenn wir uns alle sicher einen anderen Auslöser gewünscht hätten: Die Pandemie-Krise hat der Digitalisierung einen enormen Schub verliehen.

Ich gehe davon aus, dass wir als nächstes gemeinsam mit den Ministerien über Konsequenzen und Lehren aus der Pandemie beraten werden. Bereits jetzt ist absehbar, dass mobile IT zum Standard bei den Arbeitsplätzen der Verwaltung wird. Die Krise hat uns aber noch einmal deutlich vor Augen geführt, wie dringlich die durchgängige Digitalisierung der Verwaltungsprozesse ist – sowohl nach „außen“ gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen im OZG-Kontext als auch bei den Binnenprozessen der Verwaltung.

INFORM: Führung und Zusammenarbeit, Ängste und Motivation. Wie haben Sie die Unternehmenskultur des Ressorts in den ersten Wochen erlebt? Ist sie der Umstellung auf das Arbeiten von zuhause gewachsen gewesen?

Boddenberg: Mich hat die enorme Einsatzbereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, egal ob im Büro oder von zuhause, sehr beeindruckt. Alle haben an einem Strang gezogen und sich gegenseitig unterstützt. So konnten Arbeitsweisen zügig der Situation angepasst werden: Wir haben technisch aufgerüstet, um möglichst vielen Beschäftigten das Arbeiten von zuhause aus zu ermöglichen. Auch wurden in kürzester Zeit verschiedenste Unterstützungsangebote für das Arbeiten in dieser besonderen Situation für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengestellt. Das reicht von praktischen Tipps für das Arbeiten im Homeoffice über Empfehlungen für die Führungskräfte, um ihrer Verantwortung gegenüber sich und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gerecht zu werden, bis hin zu individuellen sozialen und psychologischen Beratungsangeboten.

Selten war es so wichtig, dass wir alle zusammenhalten, Rücksicht aufeinander nehmen, füreinander einstehen und aufeinander achten. Solidarität und Vernunft, zwei wichtige Aspekte, die auch unsere Bundeskanzlerin immer wieder genannt hat, habe ich im Geschäftsbereich überall vorgefunden. Auch das gibt mir jeden Tag die Zuversicht, dass wir gemeinsam die Krise bewältigen werden.

INFORM: Ihre Einschätzung: Wird sich die Arbeitsweise (in der hessischen Landesverwaltung) langfristig oder gar nachhaltig durch diesen einschneidenden Moment verändern? Wenn ja, wie?

Boddenberg: Die Krise zeigt bislang, dass die anspruchsvollen Landesaufgaben unabhängig vom Arbeitsort sehr gut erledigt werden können. Sie führt aber auch dazu, dass der persönliche Kontakt eine neue Wertschätzung erfährt.

Mit großer Wahrscheinlichkeit wird sich diese Erfahrung weiter auf die Arbeitsweise der Landesverwaltung auswirken. Vielleicht wird man mit den vielfältigen Möglichkeiten des mobilen Arbeitens nach der Corona-Krise noch offener und selbstverständlicher umgehen. Die Verwaltung hat sich bereits in den vergangenen Jahren an vielen Stellen für neue Formen der Arbeitsorganisation geöffnet. Das begrüße ich. Ich bin von Hause aus Unternehmer, Mittelständler – und bringe von daher auch einen etwas anderen Blick mit. Es gibt viele gute und spannende Ideen, und wenn diese auch für die Verwaltung Sinn machen, warum sollten wir sie nicht aufnehmen? Es wird spannend sein, wie wir mit den gewonnenen Erkenntnissen aus Corona-Zeiten umgehen.

Kaiser: Ich gehe davon aus, dass sich die Arbeitsweise der Landesverwaltung zumindest mittelfristig ändern wird. Es gibt vor allem zwei Punkte, die davon tangiert sind.

Der erste Punkt: Durch die Krise sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von heute auf morgen ins Homeoffice gegangen. Das Fazit dieser ungeplanten Massenpilotierung lautet für mich: Homeoffice funktioniert auch in größerem Maßstab. Die gemachten Erfahrungen haben unsere bisherigen Überlegungen zu dem Thema etwas überholt. Wenn die Zeiten sich weiter normalisieren, sollten wir auf der Basis klarer Regeln mit Homeoffice dauerhaft offener umgehen.

Der zweite Punkt: Wir müssen verstärkt über die Absicherung und Krisenvorsorge unserer Arbeitsstrukturen nachdenken. Das beginnt bei Lieferketten für Schutzausrüstung und reicht natürlich bis hin zu unseren IT-Infrastrukturen. Angesichts vieler Entwicklungen in unserer globalisierten Welt muss die Krisenresilienz unserer IT-Infrastruktur eine noch größere Rolle spielen.

INFORM: Braucht es grundsätzlich eine landesweite/ressortweite Ausstattung für mobiles Arbeiten?

Kaiser: Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass mobile IT gerade dabei ist, in unserer Landesverwaltung führend zu werden. Diesen Weg sollten wir weiterverfolgen und die dafür nötigen Weichen stellen. Als Full Service-Provider des Landes ist es nicht unsere Rolle, die Organisationstrukturen der Verwaltung zu definieren. Aber es ist unsere Aufgabe, IT-Lösungen für die Verwaltungsziele zur Verfügung zu stellen. Mobile IT bietet ein hohes Maß an Flexibilität: bei der Änderung von Verwaltungsstrukturen, für das Homeoffice, bei der Krisenbewältigung.

INFORM: Wie lautet Ihre heutige persönliche Erkenntnis aus der Corona-Krise?

Kaiser: In der Pandemie hat sich gezeigt, wie leistungs- und reaktionsfähig unser Staat und unsere Verwaltung sind – dank sehr vieler engagierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich ohne Zögern den großen Herausforderungen gestellt haben. Nicht zuletzt hat die IT ihren Teil dazu beigetragen. Ich glaube, das ist für Bürgerinnen und Bürger ein Signal, das nachwirkt.

Boddenberg: Die Corona-Krise ist wahrscheinlich die mit Abstand größte Herausforderung unserer Gesellschaft seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Virus und seine Verbreitung stellen unser Gesundheitssystem, unsere Volkswirtschaft und unsere Gesellschaft vor eine immense Belastungsprobe. In solch einer Krise ist es aber besonders wichtig, mit Verstand und Zuversicht an die Dinge heranzugehen. In dieser Haltung fühle ich mich durch zahlreiche Gespräche der vergangenen Wochen bestätigt. Wir sollten alle gerade in schweren Zeiten auf die Dinge blicken, die uns Mut machen. Zusammenhalt gehört dazu. Meine persönliche Erkenntnis ist also eine mutmachende Erkenntnis, die ich gerne mit anderen teile.

Mein Dank gilt in dieser besonderen Situation für unser Land all jenen, die sich für ihre Mitmenschen einsetzen und die Gesellschaft weiter am Laufen halten. Doch so herausfordernd diese Tage auch sind: Mit Solidarität, Vertrauen und auch Zuversicht werden wir diese Krise hinter uns lassen. Davon bin ich überzeugt!

INFORM: Herr Minister Boddenberg, Herr Kaiser, vielen Dank für Ihre Ausführungen.

Quelle: Der Krise gewachsen; in: INFORM, Ausgabe 2.2020 | 47. Jahrgang, S. 14 - 19.

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